Zum Zeichnen gehe ich nach draussen. Ich setze mich der Natur aus. Ich trete ihr gegenüber, um ihr zuzuschauen, sie anzuhören, sie sprechen zu lassen. Sie nimmt mich in sich auf. Während ich in ihr arbeite, akzeptiere ich die Bedingungen der Natur, bin aber auch selbst der Natur eine Bedingung. Sie duldet mich. Während ich zeichne, bin ich Teil der Landschaft.
Gerechtigkeit
Ich habe mal zu jemandem gesagt, dass sich die Bäume – im Gegensatz zu den Menschen – nicht beklagen, wenn ich sie nicht so zeichne, wie sie selbst sich sehen. Im Nachhinein kamen mir dann Zweifel, ob das überhaupt so stimmt. In meinen Arbeiten versuche ich, der Landschaft gerecht zu werden, als sei ich ihr das schuldig.
Sprache
Sobald ich mich in die Natur begebe, beginnt für mich ein ästhetisches Ereignis: Meine Wahrnehmung ist allerlei Einflüssen ausgesetzt, die sich nicht auf das aktive Betrachten beschränken. Was in meine Zeichnung eingeht, habe ich gesehen, entdeckt, gefühlt, beschritten, gehört, bedacht, gerochen, erlebt. Dieses Ereignis versuche ich mit dem Mittel der Zeichnung fortzuführen: Wenn später der Betrachter meiner Arbeit gegenübersteht und ich mich zurückziehe, dauert das Event auf anderer Ebene weiter an, wie in einer anderen Sprache. Ich sehe mich als Übersetzer einer bestimmten Erfahrung in die Sprache der Zeichnung, und hoffe dabei, vom Zauber des Moments und der Landschaft etwas vermitteln zu können. So handelt es sich bei jeder Zeichnung um eine erneute Suche nach dem geeigneten Weg, den Moment in einer Art zu reflektieren, dass der Betrachter in das Ereignis mit einbezogen wird, und es sich durch ihn verlängert.
Mittel
Die Einfachheit der Mittel spielt dabei eine große Rolle. Ich beschränke mich bewusst auf Papier und Bleistift, nicht weil ich etwa meinte, die vielschichtige Wahrnehmung auf rein visuelle Art und in Grautönen imitieren zu können, sondern weil ich denke, dass sich gerade durch die Beschränkung auf bestimmte Mittel bei der künstlerischen Arbeit eine intrinsische Dynamik ergibt, die ich noch weiter ausreizen möchte.
Vermeintliche Einfachheit
Nach einigen eher umständlichen Projekten kam mir die Idee, Schatten von Pflanzen zu zeichnen, der Einfachheit halber ganz gelegen. Nichts schien leichter zu sein als das Blatt Papier auf den Boden zu legen und die Schatten der Pflanzen nachzuzeichnen: Gräser, Blumen, kleine Bäume … ohne viel Aufwand hatte ich in kurzer Zeit einige schöne Exemplare. Doch die Beschäftigung mit dieser Thematik hat mich bald mehr und mehr vereinnahmt. Aller Einfachheit zum Trotz stellten sich die Schatten schnell als ein sehr flatterhaftes Phänomen heraus, das gar nicht so leicht einzufangen war wie es schien, denn während des Zeichnens verändern sie sich ständig: Auftauchende Wolken, verschiedene Luftschichten, Wind, der die Pflanze bewegt, Schatten höherer Bäume, und natürlich die Bewegung der Sonne, machen die Schatten der kleinen Pflanzen zu relativ lebendigen Wesen.
Studienobjekt
Sie sind dann für mich zu einem immer faszinierenderen Studienobjekt geworden. Ich wollte immer seltenere Pflanzen finden, um meine Sammlung um möglichst vielfältige Formen zu bereichern. Manchmal war die Versuchung groß, die Namen all der verschiedenen Pflanzen zu suchen und zu notieren. Ich musste mich geradezu gegen die Verlockung wehren, daraus eine Art Herbarium zu machen, wollte ich doch eigentlich genau das Gegenteil einer wissenschaftlichen Arbeit schaffen, und nicht an irgend eine spekulative Nützlichkeit gebunden sein. Nur den rein visuellen Phänomenen des poetischen Moments meiner Begegnung mit der Pflanze sollte meine Aufmerksamkeit gelten, ohne Spielraum für weitere Interpretationen zu bieten.
Mythos und Aura
Unausweichlich erinnerte mich indessen jede Zeichnung daran, dass ich dieser Pflanze tatsächlich einmal begegnet bin. Der gezeichnete Schatten schien mir allein durch Licht und Papier jedesmal die Pflanze wieder neu zu erschaffen. Ich hatte den Eindruck, gewissermassen eine Rückkehr zum legendären Ursprung der Zeichenkunst zu vollziehen: Bei Plinius heisst es dazu, die Tochter des Butades habe den Schatten ihres Geliebten an der Wand nachgezeichnet, bevor dieser eine lange Reise antreten musste. Einen vergänglichen Moment festhalten, wie eine Spur dafür, dass ein glücklicher Moment einmal Gegenwart war – aus Angst nicht nur davor, dass er lange Zeit nicht wiederkommen würde, sondern auch davor, dass selbst die Erinnerung irgendwann nachlassen würde, und dann eines Beweises bedürfe. Damit war für mich die magische Aura des Zeichnens plötzlich wieder ganz präsent.
Erinnerung und Ewigkeit
Diese Sichtweise der Zeichnung als dauerhaftes Fixieren von ephemeren Momenten, um sie der Vergänglichkeit zu entreissen, geriet allerdings auch irgendwann ins Schwanken. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass es gewiss nicht meine Zeichnungen sind, die ewig fortdauern würden, sondern dass vielmehr die Sonne ewig fortfahren wird, mit ihrem Licht in den Pflanzen zu spielen, um Schatten zu erzeugen und sie immer wieder neu lebendig werden zu lassen. Das zwiespältige Verhältnis der Zeichnung zu dem, was Anlass zum Zeichnen gegeben hat, und die darin schwebende Ambivalenz zwischen Gegenwart und Vergessen, Dauer und Vergänglichkeit, sind für mich die vielleicht interessantesten Gegenstände meiner Untersuchungen.